Am Rande des Wahnsinns

Wenn ich gefragt werde, wie das so ist Kinder zu haben und Mutter zu sein, dann antworte ich: Es ist das absolute Schönste und gleichzeitig das Furchtbarste in meinem Leben. Noch nie zuvor war eine Aufgabe für mich so erfüllend und zeitgleich so unheimlich schwer, manchmal unmöglich. Höhen und Tiefen liegen nah beieinander. Und mit meinem Sohn an Board fahren wir diese Berg- und Talfahrt oft in atemberaubendem Tempo.

Das neue Jahr beginnt für meinen Mann mit überdurchschnittlich langen Aufenthalten auf dem Klo…Magen-Darm-Infekt. Er schleppt sich durch die Tage, kümmert sich so gut es geht um die Kinder, wenn ich bei der Arbeit bin und fällt dann ins Bett. Damit er sich ausruhen kann, plane ich nachmittags einen Ausflug zum Spielplatz. Dort können sich die Kinder austoben und ich mich mit einer Freundin zum Quatschen treffen.

Holpriger Start

Schon das Loskommen bringt mich an den Rand meiner (eh schon strapazierten) Nerven. Als es nicht exakt so läuft, wie der Sohn es wünscht, weigert er sich mitzukommen. Meine Versuche seine Kooperation wiederzuerlangen scheitern. Nichts geht mehr. Mit Blick auf die Zeit (natürlich sind wir spät dran) und meinen Geduldsfaden (kurz, da Arbeit und viel alleinige Carearbeit), stapfe ich wütend davon, um meinem Mann das Feld zu überlassen. Fluchend räume ich Sack und Pack ins Auto. Warum kann es nicht einmal einfach sein? Nur weil es nicht so läuft, wie er will! Es kann doch wohl nicht sein, dass er bestimmt, wie es zu laufen hat!

Kleinlaut kommt mein Sohn angestapft. Meine Tochter, die zwischenzeitlich aus Leibeskräften geschrien hat, tapert hinterher. Ich setze beide ins Auto und schimpfe eine Weile am Steuer vor mich hin. Nach einigen Kilometern und beruhigender Musik legt sich mein Ärger. Nun kann der Ausflug beginnen. Und es läuft super. Beide Kinder kooperieren, haben Spaß mit ihren Rollern und ich kann mich ein wenig mit meiner Freundin unterhalten. Sicher, hier und da gibt es Tränen und auch Unstimmigkeiten. Aber es gelingt mir mit Trost und Unterstützung die Wogen wieder zu glätten.

Die Ruhe vor dem Sturm

Und so sitze ich einige Stunden später wieder mit den Kindern im Auto auf der Heimfahrt und bin stolz auf mich, dass ich alles gut gemeistert habe. Trotz schwierigem Start hatten wir alle eine schöne Zeit. Genauso stolz bin ich auf meine Kinder, denn auch sie haben viel geleistet.

Zu Hause merke ich, dass der Ausflug nicht nur schön, sondern auch anstrengend war. Ich habe mich auf die Unterhaltung mit meiner Freundin konzentriert ohne die Kinder aus den Augen zu verlieren. Das Gespräch immer wieder unterbrochen, um zu trösten, Essen und Trinken anzureichen oder Streit zu schlichten- und dann den Gesprächsfaden wiedergefunden. Mir Kunststücke auf dem Klettergerüst angeschaut. Alle Sachen gepackt und unterwegs beisammengehalten. Zwei Roller fahrbereit gemacht, Helme aufgesetzt, die Kinder durch den Straßenverkehr begleitet, während ich den Rest unserer Sachen im Bollerwagen hinterher manövriert habe. Immer wieder Kinder und Roller rein (in den Bollerwagen), wieder raus. Eins hüpft in den Wagen, das andere zieht, Tausch. Streit. Lösung suchen. In allen Konstellationen, bis es Zeit war alle(s) wieder im Auto zu verstauen. Auf der Fahrt dann ungeduldige Kinder, die sich im Dunkeln langweilen. Überbrücken, bis wir da sind und gleichzeitig auf den Verkehr achten. Puh!

Abends nach dem Essen würde ich am liebsten gleich ins Bett. Der Sohn leider überhaupt nicht. Er weigert sich irgendetwas zu tun, was ihn der Schlafenszeit näherbringen würde. Ich versuche ihm Raum zu geben. Das hilft nicht. Ich biete ihm Unterstützung an. Das hilft nicht. Ich versuche herauszufinden, wo das Problem liegt. Das hilft nicht. Dann gebe ich mir Raum und Ablenkung, um meine aufflammende Wut und Frustration abebben zu lassen. Doch mein Sohn findet immer wieder Wege mich zurück zu holen. Je später der Abend wird und je müder wir beide werden, desto mehr spitzt sich die Lage zu.

„Hulk smash!“

Und dann macht’s Peng! In meinem Kopf brennen alle Sicherungen durch. Ich brülle meinen Sohn an und wüte wie ein Stier. In einem kurzen klaren Moment stürme ich aus seinem Zimmer und bitte meinen Mann zu übernehmen.

Ich schnappe mir unterdes den riesigen Spielzeugkarton, der seit Weihnachten unseren Hauswirtschaftsraum versperrt und schleudere ihn mit aller Wucht um mich. Reiße ihn auseinander, springe auf ihm rum, bis er völlig zerfetzt ist.

Mehr.

Mit voller Wucht schmettere ich einen alten Teller auf die Terrasse. Und gleich noch einen. Klirrend zerspringen sie in unzählige Teile. Ich überlege, ob ich mir den Stress von der Seele schreien soll. Außenwirkungstechnisch kommt mir das dann aber ein Mü zu klischeehaft dramatisch vor.

Stattdessen werfe mich aufs Sofa und brülle in die Kissen. Das tut gut. Ich schreie mir alles von der Seele. Nicht nur die Strapazen des Tages. Auch den Ärger der vergangenen Wochen bei der Arbeit. Die Demütigungen, die ich dort erfahren habe und den Frust, der sich angestaut hat. Die Trauer über ein verlorenes Weihnachtsfest, weil ich einfach nicht in Stimmung kam. Das Gefühl der Einsamkeit an den Festtagen. Aber vor allem die Wut und die Hilflosigkeit im Umgang mit meinem Sohn, die in mir Reaktionen triggern, die ich am liebsten wegsperren würde.

Stück für Stück realisiere ich was gerade passiert ist. Was ich meinem Sohn an den Kopf geworfen habe. Welche Grenzen ich überschritten habe. Und schäme mich fürchterlich für mein Verhalten. Wie kann ich meinem Kind je wieder in die Augen blicken? Wie kann ich das jemals wieder gut machen? Ich fange wieder an zu schreien, diesmal aus Verzweiflung.

Liebe überwindet alles?

Ich muss mich entschuldigen, meinem Sohn zeigen, dass es nicht seine Schuld ist, ihn spüren lassen, dass ich ihn liebe, damit der Abend versöhnlich endet. Doch der schiere Gedanke jetzt meinem Kind entgegen zu treten, lässt mich erstarren vor Scham. Und so verweile ich im Dunkeln auf der Couch und lasse stumm meinen Tränen freien Lauf.

Plötzlich nehme ich jemanden an der Tür wahr. Mein Sohn. Mein erster Impuls ist meine Tränen zu verstecken, er soll mich so nicht sehen. Zum Glück halte ich es doch aus mich so zu zeigen, wie es gerade ist.

Mein Sohn kommt zögerlich näher. „Mama!? Geht es dir auch gerade so wie mir?“ Seine Stimme sagt mir, dass es ihm ganz genauso geht wie mir. Und damit ist die Starre weg. Die Unbeweglichkeit, die Mauer um mich herum, der Klumpen im Hals und das Eis in der Seele. Ich schließe ihn in meine Arme und drücke ihn fest an mich. Plötzlich kann ist sie wieder fühlen: diese unheimlich starke Liebe, dieses Gefühl für den Menschen in meinem Arm alles zu geben. Schluchzend entschuldige ich mich. Auch er weint und so liegen wir uns eine Weile in den Armen und entschuldigen uns. Ich schaue ihm fest in die Augen und sage ihm wie lieb ich ihn habe und dass er ein ganz besonderer Mensch ist. Ich danke ihm, dass er gekommen ist. „Ich wollte gucken, ob du noch sauer bist“, sagt er darauf.

Perspektive ändern = Augenöffner

Im Nachhinein erscheint mir alles so klar. Über die letzten Wochen hat sich zu viel Anspannung angestaut und ich habe nicht für den nötigen Ausgleich gesorgt. Habe in der Fülle der Aufgaben und Bedürfnisse nicht die Kraft gefunden dahin zu schauen, wo es am wichtigsten, aber auch am schmerzhaftesten gewesen wäre. So hatten meine alten Glaubenssätze leichtes Spiel meine Wahrnehmung und mein Denken zu verzerren. Wenn ich schon so erschöpft war, wieso sollte es meinen Kindern anders ergangen sein!? Auch sie haben an diesem Tag und in den Wochen davor viel geleistet. Immer wieder zurückgesteckt, ihre Bedürfnisse aufschieben müssen. Mein Sohn wollte mir nicht schaden. Mich nicht ärgern, tanzte mir nicht auf der Nase herum. Er war einfach am Ende seiner Kräfte. Und seine Art mir das mitzuteilen ist für mich ein riesiger Trigger. Aber dafür kann er nichts. Es liegt in meiner Verantwortung rechtzeitig auszusteigen.

Vertrag mit mir selbst: Ich entscheide mich anders

Und so vereinbare ich mit mir nun einen inneren Vertrag: Sobald ich merke, dass meine Anspannung zu sehr steigt, entscheide ich mich bewusst für ein Ausstiegsszenario. Ich sage meinem Sohn ruhig, dass ich jetzt eine Pause brauche und mal raus muss. Dann bitte ich meinen Mann zu übernehmen und schaufle mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann atme ich zehn Mal tief ein und doppelt so lang aus. Anschließend mache ich eine Achtsamkeitsübung und schaue mir Bilder und Videos meiner Kinder an. Bis ich wieder ganz bei mir und im Hier und Jetzt bin. Vielleicht braucht das Kind in mir Schutz und Trost. Dann kann ich wieder spüren, dass ich hier und jetzt die Erwachsene bin, die Mutter und mein Kind mich braucht.

Ich darf mich abwenden von all diesen Gedanken über tyrannische, verzogene Kinder und überforderte, unfähige Mütter. Und mich darauf besinnen, dass jedes kindliche Verhalten einen Sinn hat. Auch wenn ich ihn manchmal nicht erkennen kann. Kinder wollen kooperieren. Sie sind keine bösen, egoistischen Wesen, denen man eine gute Erziehung angedeihen muss. Mein Kind ist gut so wie es ist. Ich bin gut so wie ich bin. Ich habe einen Fehler gemacht und das ist okay. Nächstes Mal versuche ich es wieder besser zu machen.

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