
Kennzeichen einer tragfähigen Beziehung ist nicht das Ausbleiben von Konflikten, sondern ob man es schafft Brüche zu reparieren. Dann geht die Verbindung gestärkt daraus hervor, anstatt daran zu zerbrechen. Die Beziehung zu meiner Mutter ist daran gescheitert. Nun steht eine weitere wichtige Beziehung auf dem Prüfstand.
Ich lese ihn noch einmal, diesen langen Brief, den ich meiner Mutter einst geschrieben habe. Nachdem ich von ihr mit meinem Gesprächswunsch immer wieder abgewiesen worden bin, hatte ich meine Worte dem Papier anvertraut. Auch jetzt noch, sieben Jahre später, spüre ich den Schmerz meiner damaligen Verletzungen. Aber ich spüre auch die Schärfe meiner eigenen Worte aus dem Brief und die Wunden, die sie bei meiner Mutter verursacht haben müssen. Ich bereue es nicht sie geschrieben zu haben. Sie waren notwendig, um aus dem Kreislauf aus gegenseitiger Verwundung auszutreten und einen Schritt aufeinander zu und nach vorne zu gehen. Mir war damals bewusst, dass es in unserer Beziehung schon einige Brüche gab. Gleichsam war mir klar, dass es zu einem weiteren Bruch kommen wird, wenn ich dies ans Licht der Wahrheit zerre. Trotzdem habe ich diesen Schritt gewagt. Leider führte er uns nicht in ein neues gemeinsames Kapitel, sondern resultierte in einem Kontaktabbruch, dem wohl größten Bruch überhaupt.
Heute weiß ich, dass nicht die Brüche in einer Beziehung das Problem sind, sondern das Ausbleiben von Reparatur. Über Jahre andauernde, tragfähige Beziehungen zwischen Menschen sind nicht davon geprägt, dass es keine Brüche gibt. Im Gegenteil, Brüche können einer Beziehung dabei helfen stärker und belastbarer zu werden – wenn sich beide um Reparatur bemühen.
It takes two to tango
In meinem Fall war ich sehr um Reparatur bemüht. Ich hatte gehofft durch meinen Brief endlich ins Gespräch zu kommen über das was unsere Beziehung so belastet. Um einander wirklich zu sehen und zu hören, bestenfalls sogar zu verstehen. Um dann gemeinsam Wege zu finden wiedergutzumachen was schiefgelaufen ist. Leider stand ich mit diesen Wünschen allein. Um eine Beziehung zu reparieren, bedarf es aber aller Beteiligten. Und so blieb mir nur die Wahl den Status quo zu belassen und weitere Kränkungen über mich ergehen zu lassen oder zu gehen.
Reparatur fängt bei mir an
Auch jetzt stehe ich wieder an diesem kritischen Punkt mit einem mir sehr wichtigen Familienmitglied. Wieder gab es Brüche in der Beziehung. Einer ging von mir aus und seit mir das bewusst wurde, versuche ich es wiedergutzumachen. Das war ein Prozess, an dessen Anfang das Gefühl stand eine bestimmte Situation mal genauer anzusehen: Wie habe ich mich verhalten? Wieso bzw. was stand dahinter? Würde ich heute noch genauso entscheiden und warum?
Ich habe mich bemüht die Perspektive zu wechseln: Wie hat die andere Person die Situation wohl wahrgenommen? Was könnten Gründe für ihr Handeln gewesen sein? Was mag mein Verhalten in ihr ausgelöst haben?
Ich musste knallhart ehrlich mit mir sein, all die bisherigen halbgaren Rechtfertigungen beiseiteschieben und anerkennen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber auch Nachsicht mit mir war wichtig, um mich nicht in unproduktivem Self-Bashing zu verlieren. Schließlich gab es Gründe für meinen Fehltritt. Meine Sicht damals war eine andere als heute, wo ich an Erfahrung und emotionaler Reife reicher bin. So entwickelte ich Empathie mir selbst und im nächsten Schritt auch der anderen Person gegenüber.
Es tut mir leid. Ab jetzt wird’s besser!
So folgte eine persönliche, ehrliche, tief empfundene Entschuldigung und ein Kurswechsel. Denn was bedeutet eine Entschuldigung schon, wenn ich mich einmal umdrehe und dann genauso weiter mache wie vorher!? Meine Haltung hatte ich schon im vorherigen Prozess geändert, daher fiel es nach der Entschuldigung nicht schwer mein Verhalten zu ändern. Leider ging die Beziehung trotzdem weiter auseinander. Nicht umsonst heißt es „jemanden um Entschuldigung bitten“. Möchte oder kann das Gegenüber nicht verzeihen, so ist das Ende dieses Weges erreicht. Manchmal ist es nicht möglich Brüche zu reparieren und die Beziehung damit zu stärken. Vielleicht war die Kränkung zu groß, die Reparatur zu spät. Was dennoch geht: sich selbst zu vergeben. Das habe ich in meinen Versuchen meinen Fehler wiedergutzumachen zunächst übergangen. Stattdessen habe ich mich selbst bestraft, indem ich die Fehltritte meines Gegenübers jahrelang ertragen habe. Unterbewusst wollte ich meine eigene Schuld begleichen, indem ich die Verletzungen der anderen Person hinnahm und rechtfertigte.
Jetzt begreife ich: so funktioniert das nicht. Die Tatsache, dass ich mich jemandem gegenüber ungerecht verhalten habe, gibt demjenigen nicht das Recht mich abfällig und respektlos zu behandeln. Obwohl ich mein damaliges Ich sehr gut verstehen und mit ihr fühlen kann, fällt es mir unheimlich schwer mir meinen Fehler zu verzeihen. Ich habe als Kind verinnerlicht, dass ich keine Fehler machen darf. Dem jetzt als Erwachsene etwas entgegenzusetzen, bedarf noch viel Übung.
Was wird aus uns?
Was bedeutet all das für meine Beziehung zu dem Familienmitglied? Eine letzte Hoffnung schimmert noch in mir. Vielleicht können wir sie doch noch reparieren, wenn ich es noch einmal anstoße. Vielleicht ist meinem Gegenüber der Schaden ihres Verhaltens nicht als solcher bewusst? Vielleicht muss ich meine Verletzung klarer benennen?
Vielleicht muss ich aber auch akzeptieren, dass ich an einer Beziehung hänge, deren Verfallsdatum schon vor langer Zeit abgelaufen ist…