Schon wieder stehe ich an diesem Punkt. Ich lasse den Tag Revue passieren. Für einen Montag gab es überdurchschnittlich viele Highlights: der Sohn hat sich morgens freiwillig die Zähne geputzt. Eine Kundin hat mit Tränen in den Augen hervorgebracht, wie froh sie ist mich zu haben. Die Tochter feiert ihr derzeitiges Lieblingsbuch ab und zitiert daraus munter die kompliziertesten Zaubersprüche. Und dennoch fühle ich…eigentlich nichts. Ich kenne die „zu erwartenden Reaktionen“ und versuche sie zu imitieren. Doch das emotionale Echo bleibt aus.
Der schwarze Hund lässt grüßen
Stattdessen spüre ich eine überwältigende Einsamkeit. Eine bleierne Schwere bei allem was ich tue. Die lockenden Schwüre meiner Matratze am Morgen. Den bestimmt ums 1000fache erhöhten Luftwiderstand beim Gehen. Die leere Starre im Inneren, wenn der Tag geschafft ist, die Kinder im Bett liegen und Ruhe einkehrt.
Und so blicke ich stumm an der Weihnachtsdekoration vorbei durchs Fenster und denke an das was heute war.
Warum kann ich das nicht?
Der Sohn möchte Geburt spielen mit ihm als Baby. Er versucht mir irgendwas in Babysprache mitzuteilen. Ein regressives Spiel, das ich in den letzten drei Jahren schon unzählige Male mitgespielt habe in der Hoffnung ihm dadurch geben zu können was er gerade braucht. Nun aber sind seine Nähe und seine „Gugus“ und „Gagas“ für mich kaum auszuhalten.
Die Tochter möchte zum X-ten Mal ihr Lieblingsbuch vorgelesen bekommen. Erwartungsvoll strecken mir ihre kleinen Händchen das gute Stück entgegen. In mir das Gefühl, wenn ich das jetzt noch ein Mal lese, fallen meine Arme ab, ein Atompilz hebt meine Schädeldecke hoch und mein Kopf knallt auf die Tischplatte.
Das Wissen um die dahinterliegenden Bedürfnisse ist da. Und die Schuldgefühle sie dennoch nicht erfüllen zu können. Dem Alltag gerade generell kaum gerecht werden zu können. Das Gefühl kein Passagier an Bord dieses Zuges zu sein, sondern hinterher gezerrt zu werden. Immer mal wieder finden die Füße den Kontakt zum Boden und können einige Meter selbst laufen. Doch früher oder später nimmt der Zug Geschwindigkeit auf und ich verliere wieder die Kontrolle.
Route 1, 2, … gibt’s auch 3?
Dazu ein innerer Mix aus Gleichgültigkeit, Schwere und Hilflosigkeit. Die Zukunftsprognose: düster. Und diese zähen quälenden Gedanken: Meine armen Kinder. Warum tue ich ihnen das an? Warum kann ich nicht besser sein für sie? Ist aufzugeben ein Weg?
Nein, niemals. Vielleicht muss ich mich noch mehr anstrengen. Mich stärker zusammenreißen. Die Zähne zusammenbeißen und durch.
Oder vielleicht ist es an der Zeit endlich zu akzeptieren, dass ich psychisch gehandicapt bin und dass das zwar nicht schön, aber voll okay ist. Weil es nicht meine Wahl war, nicht meine Schuld. Weil es darauf ankommt was ich damit anfange?
Ein neuer Weg
Eine neue Route bahnt sich durch die klebrige Gedankenwelt. Wenn ich es schaffe meine Krankheit als solche anzunehmen, dann kann ich endlich den Wunsch loslassen, dass meine Kinder von deren Auswirkungen unberührt bleiben. Denn das ist unmöglich. Die Krankheit begleitet mich jeden Tag und gehört somit auch zur Lebensrealität meiner Kinder.
Zum Greifen nah erscheint mir dieser Weg manchmal. Und dennoch scheine ich ihn nicht zu finden. Stehe im Nebel, orientierungslos und verunsichert. Vielleicht wandle ich aber auch schon längst auf diesem Pfad, ohne es zu merken. Einfach dadurch, dass ich nicht aufgebe. Egal wie schlimm der Tag war. Egal wie laut die Stimmen im Inneren mich niedermachen. Egal welche grausamen Bilder in mir erscheinen. Egal welche furchtbaren Worte ungewollt aus meinem Mund kommen. Ich stehe jeden Tag wieder neu auf der Matte.
Für diese bezaubernden Wesen, die ich in (meinen) guten Momenten dankbar bin meine Kinder nennen zu dürfen. Und für mich, die ich auch einst ein solches kleines Wesen war, das einfach nur geliebt werden wollte.